analogischer alpinismus //// concept for an interactive dvd-rom //// © Rajele Jain 1999 //// PROJECTS //// HOME
DESCRIPTION //// IMAGES //// TEXTS //// CREDITS
17.6.99 Text (Speech to introduce the project, german, Cologne 2000)
Ich freue mich, dass so viele mögliche Alpinisten hierher gekommen sind...

Ich möchte Ihnen heute ein Projekt vorstellen, an dem ich zur Zeit im Rahmen eines Fellowships der KHM arbeiten kann.
Es handelt sich hierbei um die Realisation einer interaktiven DVD-Rom.

Mein Projekt basiert auf einem Ausgangsmaterial von ca. 30 Stunden Video in SVHS-Qualität. Es handelt sich in erster Linie um Aufnahmen, die ich zu Beginn der Existenz dieser KHM, gemacht habe, als hier ein Symposium stattfand, zu dem ca. 38 Vortragende eingeladen waren.
Medienkünstler, andere Künstler, Medienphilosophen, Physiker, Ingenieure, Mediengestalter, ScienceFiction Autoren, Wissenschaftler und Forscher aus verschiedenen Ländern
- ich muss allerdings kurz einwerfen - alles Männer.
Auch einige der ehemaligen Professoren der KHM von heute stellten ihre Arbeit und Ansätze vor und ebenso einige, die einige Jahre später Professoren der KHM wurden.
Dieses Ereignis liegt nun nahezu 10 Jahre zurück (es war das WS 89/90).

Die in den von mir konservierten Vorträgen und Vorstellungen enthaltenen Aussagen, Hoffnungen, Visionen oder Ängste zum Themenbereich Medien - Kunst - Einfluss der Medien auf unsere Kultur und Leben usw. möchte ich mit dieser Arbeit zur Ansicht und Diskussion stellen.
Ein wesentlicher Aspekt meines Anliegens ist es aber auch, zu untersuchen, was von den geäusserten Gedanken sich etwa bis heute erschöpft hätte oder was evtl. inzwischen vergessen oder übersehen wurde, und ob es und welchen Unterschied es zu der heutigen Mediendiskussion gibt.
Ich muss nicht betonen, dass zumindest in Deutschland die Gegenwart der sogenannten Neuen Medien in der aktuellen Diskussion erst seit kurzem in diesem Umfang feststellbar ist - allerdings möglicherweise auch noch ohne den gewünschten Erfolg, der sich meiner Meinung nach nur einstellen könnte, wenn interdisziplinäres Denken und Arbeiten sowie interkulturelles Verstehen kultiviert werden würden.

Ein interaktives Programm vorzustellen, wie ich es beabsichtige, ohne dass es jedoch bereits programmiert ist, birgt eine gewisse Schwierigkeit...
Ich habe daher ein Video hergestellt, dass Ihnen meinen Ansatz der Arbeit,
das Interface der späteren DVD mit seinen Navigations- und Erlebnismöglichkeiten
und einen kurzen Ausschnitt der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema aufzeigt.

Ich bitte Sie, zu berücksichtigen, dass es sich hierbei NICHT um eine Videoarbeit handelt, sondern um ein Präsentations-medium, dass mir für diesen Zweck geeigneter erschien als beispielsweise Overheadfolien aufzulegen.
Das gesamte Video ist gerendert, da es sich zum grössten Teil um 2-D-Trick handelt, mit dem ich versucht habe, die Perspektive des Benutzers zu simulieren. Das heisst aber auch - für den, der weiss, wie lange Videorendern dauern kann - dass nicht alle Situationen vorkommen werden, die man später bei der Benutzung der DVD zur Verfügung haben wird.
Ich möchte daher im Anschluss an das 35 minütige Video noch einige weitere Erklärungen geben und Ihnen dann selbstverständlich für Fragen zur Verfügung stehen.
Ich beginne mit Zusatzinformationen und Erläuterungen zunächst formaler Art, indem ich die verschiedenen Plattformen des Bergs noch einmal von unten aufzähle:

1. erste Ebene - das Archivhaus
hier kann man die Originalbeiträge abrufen -
was nicht dargestellt wurde: zusätzlich dazu aber auch Namen, Beruf der Autoren und weitere biographische Daten. Man kann die Videos selbstverständlich stoppen, rück- oder vorspulen.
Ausserdem gibt es eine Art Kuriositätenkabinett, in denen Material aus den Videos zusammengestellt wurde, dass sich spezifisch auf die Situation von vor 10 Jahren bezieht, wie zum Beispiel die Vorführung der ersten, für heutige Verhältnisse archaischen Cyberspaceexperimente oder Zukunftsprognosen, die sich heute selbst eingeholt haben.

Im Korb auf dem Tisch befinden sich verschiedene Hilfsmittel für den Aufstieg -
Audiokassetten, die man mitnehmen kann, um die Geschichte des Analog nach Daumal zu hören -
einen Fotoapparat als Symbol, Einzelbilder abzuspeichern, einen Wanderplan, der die Funktion von Erscheinungen erklärt, die einem begegnen können, wie zum Beispiel das A für Alpinismus.
Hier könnte sich der Bergsteiger über alpinistische Grundbegriffe informieren (wie Daumal sie aufgeführt hat)
ausserdem Reste bzw. Zurückgelassenes früherer Karawanen zu finden - das sind in diesem Fall Bilder, Töne oder Texte, die ich selbst seit Jahren zu dem Thema gesammelt habe, aber auch Spezialitäten aus den Vorträgen, zum Beispiel die erste Darstellung der Mandelbrotmenge und ihre Erklärung durch Hartmut Jürgens etwa
schliesslich ein Navigationstool, mit man sich vor-, zurückbewegen kann oder seitlich drehen usw.

2. Ebene
Restaurant - das Menu fehlte. es wäre ein Menu der alphabetisch aufgelisteten Begriffe, die man im Begriffsraum abfragen kann sowie ein Drucker, mit dem man sie ausdrucken könnte.

3. Ebene
Die Inszenierung der virtuellen Akademie, einem von mir inszenierten Symposion, daß verschiedene Begriffe und Behauptungen durch den Zusammenschnitt einzelner Sequenzen aus dem Ausgangsmaterial diskutiert.

4. Ebene
Die Auflösung des Analogiegedankens durch Umwandlung in Szenarium ist der Eintritt in eine Internetseite, die ebenso die eigene Aktion des Benutzers einschliesst wie auch aktuelle Statements der geschilderten Karawane, aber auch einer von mir durch andere Personen erweiterten bzw. sich verselbständigten erweiterten.


Der Navigation der von mir geplanten DVD liegt, wie ja ersichtlich, das Bergsteigen zugrunde, das heisst, man geht, ruht, sieht, findet und erforscht Höhlen und Höhen bzw. unbekannte Szenarien.
Die angesprochene Ruhe ist eine Notwendigkeit und ihr soll auch insofern Platz eingeräumt sein, als der Benutzer nicht, wie bei vielen CD-Roms, ständig durch die Gegend klicken muss, kann und deswegen vielleicht auch tut, sondern dass man durchaus auch faul in seinem Sessel sitzen könnte, um sich lange Vorträge oder virtuelle Konferenzen anzuhören oder Geschichten erzählt bekommt oder eventuell sogar ein Landschaftspanorama an einem vorbeizieht. Dies ermöglicht hoffnungsvollerweise eine Konzentration auf die Inhalte und könnte im besten Fall sogar eine Atmosphäre schaffen, in der man alle gebotenen Informationen und Atmosphären verbinden kann. Immerhin ist das Medium DVD ja auch zu Hause in Ruhe abspielbar, unterbrechbar und - wie in einem guten Computerspiel vom jeweiligen letzten Stand "weiterbegehbar".

Der Text aus: Der Analog, von René Daumal
wurde 1939 begonnen, als R.D. gerade 31 war und erfahren hatte, dass die Tuberkulose, an der er seit 10 Jahren erkrankt war, tödlich ausgehen würde. Er starb am 21. Mai 1944 in Paris nach einer schwierigen, harten Zeit, die er aufgrund dessen, dass seine Frau Jüdin war und sie aus Paris fliehen mussten, in verschiedenen Gegenden Frankreichs und unter grosser Geldnot verbrachte. Der Analog ist daher unvollendet geblieben, man berichtet, dass zu den vorhandenen 5 Kapiteln noch 2 hätten dazukommen sollen, deren Inhalt man anhand von Beschreibungen seiner Frau und seines Schriftsteller-freundes Rolland de Renéville skizziert hat.
Ich möchte und kann die ganze Geschichte jetzt nicht erzählen (in der DVD wird man sie hören können), aber doch sagen, dass die deutsche Übersetzung, 1964 bei Karl Rauch herausgegeben, den Untertitel trug: ein wahrheitstreuer Bericht, wohingegen die zweite Ausgabe bei Suhrkamp 1983, mitterweile aber auch vergriffen, direkt den zweiten Untertitel nennt, den ich Ihnen aber noch ein paar Minuten vorenthalten möchte.
Was der Analog ist, ging hoffentlich aus den Zitaten im Video hervor, ich möchte daher nur kurz sagen, dass es in Daumals Geschichte um eine Expedition geht, die aus ursprünglich 12 Personen bestehen sollte, von denen aber vorher 4 absprangen.
Die acht setzten sich zusammen aus einem bedeutenden Linguisten, einem passionierten Alpinisten, der zudem noch finanzielle Mittel hatte und die Jacht zusteuern konnte, zwei Brüdern, der eine studierte Mathematik, Physik und Astronomie, der andere interessierte sich für östliche Metaphysik, einer Gebirgsmalerin, sowie Pierre Sogol (umgekehrt Logos), des Anführers der Expedition und dem Autor sowie seiner Frau.

Es ist sehr erhellend für alle Künstler und Wissenschaftler,die oft vergeblich versuchen, Unterstützung oder wenigstens Verständnis für ihre Projekte zu erhalten, die Beschreibung der abgesprungenen vier Personen zu hören, als da wären:
"ein produktiver wie erfolgreicher Dichter, bärtig, mit etwas Bauch und einem Air von Unordnung und Ausschweifung, das indes seine schöne, warme Stimme sogleich wiedergutmachte. Da ihm ein Leberleiden strapaziöse Touren untersagte, begnügte er sich mit dem Schreiben von Gedichten übers Gebirge."

dann: ein Journalist, "gewandt und weltläufig, mit einem leidenschaftlichen Interesse für Musik und Ballett, über die er glänzend schrieb. Meister im Abseilen, der den Abstieg dem Aufstieg vorzog. Klein, am Körper mager. im Gesicht feist, mit winzigem Mund und zu kurzem Kinn."
Ebenso nicht mit von der Partie:
eine belgische Schauspielerin, die zur Zeit in Paris, Brüssel und Genf ziemlichen Erfolg hatte. Sie war die Vertrauensperson eines Schwarms komischer junger Leute, die sie im Sinn höchster Spiritualität auf den rechten Weg zu bringen versuchte. Sie sagte mit der gleichen Überzeugung "ich liebe Ibsen" wie "ich liebe Kremschnitten". Sie glaubte an die Existenz der Bergfee und lief im Winter an Orten mit Seillift Schi".

Und der letzte Abtrünnige:
Pariser Damenschneider. "Klein, elegant und Hegelianer. Obwohl von Geburt Italiener, gehörte er einer Schule des Alpinismus an, die man - grosso modo - die deutsche nennen könnte. Die Methode dieser Schule lässt sich, wie folgt, zusammenfassen:
Man geht den Berg von seiner steilsten Seite und auf der unsichersten, am meisten von Steinschlag bedrohten Strecke in der Weise an, dass man, ohne auf bequemere Aufstiegsmöglichkeiten rechts oder links zu achten, auf dem kürzesten Weg den Gipfel anvisiert. Im allgemeinen findet man dabei den Tod, aber ab und an kommt eine Seilschaft auch mal zum Ziel."

Ich möchte mit dem zweiten Untertitel zum Analog meinen Vortrag beenden: er lautet:

Der Analog
Ein nicht-euklidischer, im symbolischen Verstand authentischer alpinistischer Abenteuerroman

Ich beziehe

nicht-euklidisch
im symbolischen Verstand authentisch
alpinistisch
und Abenteuer - ich will selbst den Roman nicht auslassen - hier
auf die Möglichkeit eines Umgangs oder einer Konstruktion mit den sogenannten virtuellen Welten in Verbindung mit den sogenannten Neuen Medien.

Ich danke Ihnen.